Die „Glück’s Stuben“ in Kirdorf konservieren die Gaststube aus seligen Zeiten und kredenzen auch Salzstangen im Senfglas.
Sie steckt in allen Ecken. Auch vier Jahre nach ihrem Tod wacht Marga – „Magga“ wie es hierzulande korrekt heißen muss – Schuy über ihre einzigartige Schankwirtschaft. Wenn Kirdorf ein Herz hat, schlägt es hier, unterm niedrigen Garagendach, vor dunkler Holzvertäfelung, im Schein der sanften „Asbach Uralt“-Thekenleuchte. Eine Verheißung, die sich „Glück’s Stuben“ nennt.
Es ist der rührigen Interessengemeinschaft Kirdorfer Feld (IKF) zu verdanken, dass dieses auf ehrwürdigen Holzdielen ruhende Refugium überlieferter Kneipenseligkeit in alter Gestalt weiterbesteht. Schon ein Jahr nach dem Ableben der sagenhaften Wirtin – Markenzeichen: helle Kittelschürze, dunkle Pagenfrisur – hat das Thekenteam der IKF die Arbeit wieder aufgenommen, das in sieben Jahrzehnten erprobte Konzept fortgeführt. Unter der Regie von Stefan Hardt arbeiten zwei Dutzend Kirdorfer ehrenamtlich und nach Dienstplan, öffnen zweimal pro Woche Tür und Zapfhahn. Von halb acht bis Mitternacht ist zu erleben, was wahre Lokalkultur ist.
Abgrenzungen sind nicht vorgesehen, eine aus dickem Vorhangstoff gebildete Trennlinie verläuft nur zwischen Rauchern und Tabakverächtern. Verschiedene Generationen fanden hier stets zueinander, das Fremde war schnell vertraut, weder Emil Glück noch Tochter Magga ließen Vorurteile gelten.
Stefan Hardt bezeichnet die Auslastung der 75 Sitzplätze als „sehr gut“. Das Altersspektrum der Gäste reiche von 16 bis 85 Jahren. „Wie früher.“ Skat- und Pokerrunden finden regelmäßig ihren Winkel, der Tischfußball ist auch im 21. Jahrhundert eine Option.
Keine kulinarischen Spitzfindigkeiten locken in die Kirdorfer Straße 38: Wo vormals Toast und Gulaschsuppe sättigten, dampft heute die von einer Scheibe Brot flankierte Brühwurst. Es herrscht eine Ehrlichkeit, die sich beim flüssigen Sortiment fortsetzt. Was die IKF aus eigenem Streuobst keltert, bildet den Grundstock.
Ebbelwoi und Saft und Secco im kaum vorstellbaren Preis-Leistungs-Verhältnis. Ein Euro für den guten Viertelliter-Schoppen ist ebenso märchenhaft wie die zu jedem Tisch gehörenden Salzstangen im Senfglas. – Maggas Ära lässt grüßen.
Gegenwart und Vergangenheit vermischen sich im Glanze dieser Glücksstunden andauernd. Du spielst eine Runde Billard, nimmst einen Schluck, spielst eine Runde am Kicker, wirfst eine Münze in die Wurlitzer („Hi-Fi-Stereo“). Bestellst einen Bembel, hörst, wie Sandie Shaw und Gene Vincent den Raum verändern. Seitdem die Wirtin – „Autorität und gute Seele“, so Michael Korwisi, Homburgs Ex-OB – ihre schöne Theke für immer verlassen hat, wurde keine Single in dem 1964 gebauten Röhrenverstärker ausgetauscht. Die Stammgäste Thorsten und Wilfried kümmern sich um die Wartung. Im Ehrenamt natürlich – und „der Magga zuliebe“.
So wie Rosi und Fred Biedenkapp, die am heutigen Abend das Pils zapfen und dann hinaustragen. Serviert wird, der Tradition entsprechend, in Exportgläsern, den wuchtigen Bechern. Über allem könnte das Motto schweben: „Nur keine Umstände“.
Für die Interessengemeinschaft lohnt sich der Einsatz mittlerweile, der Umsatz deckt längst die Kosten. Was übrig bleibt, kommt der Arbeit im Kirdorfer Feld zugute. Dort wollen die Engagierten der IKF bald ein neues Kelter- und Lagergebäude hochziehen.
In der einstigen „Texas-Bar“ wurde zunächst investiert, zwei Öfen und eine Spülmaschine gekauft. Keine Hand rührte indes an der Tresenlandschaft, in der die Kühlung brummen darf wie eh und je. Man hält fest am Überlieferten. Der Faschingsdienstag ist höchster Kirdorfer Feiertag: Wie seit ewigen Tagen wird das Hochamt im glücklichen Hinterhof gefeiert. 300 ihrer berühmten Kreppel hat Wirtin Schuy stets beigesteuert. Dass der IKF es genauso hält, muss nicht extra erwähnt werden. Und am Aschermittwoch werden die Dielen gewachst.
Ach, die Geschichten nehmen kein Ende, wollen sich fortspinnen in die Kirdorfer Nacht. Leer sind die Gläser, verstummt ist die Musik. Kein „Hey Tonight“ begleitet den Gang übern Hof, hinüber zu den Toiletten. Nun denn. So lange die „Glück’s Stuben“ bestehen, ist Hoffnung. Nur eine Losung kann gelten: „Bei die Magga.“ Wieder und wieder.
Frankfurter Rundschau vom 6.6.2017
Autor: Olaf Velte