Vom Stummfilm bis zur Wirtin Magga: Eine Jahrhundertgeschichte im Homburger Hinterhof.
Schmal streckt sich der Hof zwischen mehrstöckigen Wohnhäusern, alten Garagen und der legendären Flachdach-Lokalität in die Tiefe. Ein Bungalow begrenzt das schmucklose, an der Kirdorfer Straße gelegene Areal. Wer heute vor den „Glück’s Stuben“ steht, kann die historische Bedeutung des Platzes kaum ermessen. Hier war das Betätigungsfeld des im Mai 1888 geborenen Emil Glück – ein Mann, der getrost als Tausendsassa und Überlebenskünstler bezeichnet werden darf.
Schon kurz nach dem Ersten Weltkrieg gründet er im Anwesen Kirdorfer Straße 38 das erste Kino Bad Homburgs. Die vorgeführten Stummfilme soll er am Klavier musikalisch selbst umrahmt haben.
Nach dem Abspann dieses ersten Kapitels installiert der Umtriebige in dem Gebäude eine Schokoladenfabrik, dessen Vorzeigeleckerei die mit Eierlikör gefüllten „Glück’s Hufeisen“ sind. Die süße Zeit endet schließlich mit einem Großbrand, der die Produktionsstätte in Schutt und Asche legt.
Auferstanden aus Ruinen wachsen in der Folge 19 Garagen, von denen einige bis auf den heutigen Tag erhalten sind. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg wird Emil Glück Taxiunternehmer, doch auch diesem Gewerbe bleibt er nicht lange treu – aus vier der Taxi-Unterstellbauten wird eine Eisdiele geformt.
Nur Elvis war nicht da
In der unmittelbaren Nachkriegszeit und mit der im Umland erfolgenden Stationierung amerikanischer Soldaten kommt an der Kirdorfer Straße eine Idee zur Realisierung, die bis heute trägt. 1947 – noch kann von alltäglicher Normalität keine Rede sein – eröffnet der ehemalige Kinobetreiber und Schokoladenhersteller eine Gastwirtschaft unter dem klingenden Namen „Glück’s Stuben“. Dass sich jedoch auch der Begriff „Texas-Bar“ einbürgert, ist laut Michael Korwisi – gebürtiger Kirdorfer und ehemals Bad Homburger Oberbürgermeister – dem Vermarktungstalent des Emil Glück geschuldet.
Vor den Kasernentoren werden Flugblätter verteilt, um der Kirdorfer „Bar“ dollarkräftiges Publikum zuzuführen. Der Erfolg ist im wahrsten Wortsinne durchschlagend. „Da war an jedem zweiten Abend die Militärpolizei zugegen“, erzählt Korwisi. Die zechende und raufende Gästeschar rekrutiert sich vornehmlich aus dem Oberurseler Camp King. Schnell stellt sich auch deutsche Jugend ein, der mittlerweile weithin bekannte Laden vibriert.
Nur einer hat sich trotz anderslautender Gerüchte hier nie blicken lassen: „Elvis Presley war zwar in Bad Homburg, aber nie in der Texas-Bar.“ Auch ohne die Erscheinung des „Kings“ – das lässt sich im Rückblick feststellen – verfestigt sich der lockende Ruf der Kirdorfer Lokalität. Jugend stellt sich ein, die ältere Generation bleibt ebenfalls nicht aus.
Eine neue Qualität gewinnt das Ganze mit dem Wechsel hinterm Tresen: 1962 übernimmt Marga Glück das Amt ihres Vaters, wird als Wirtin „Magga“ weit über die Grenzen Homburgs hinaus zur sprichwörtlichen Erscheinung. Bis zu ihrem plötzlichen Tod am 25. April 2013 mit 81 Jahren ist sie eine Instanz in ihrem „Glück’s Stuben“-Reich. – Eine historische Dimension, deren Bewahrung den Überlebenden aufgegeben ist: Wer vermag sie zu sammeln, die so zahlreich kursierenden Anekdoten aus Kirdorfs glücklicher Zeit?
Frankfurter Rundschau vom 6.6.2017
Autor: Olaf Velte