Die engagierten Naturschützer von Kirdorf pflegen 65 Hektar Streuobstwiesen - jetzt wird die Ernte eingebracht.
Frankfurter Rundschau vom 1.10.2018, Jürgen Streicher
Das Herz der Interessengemeinschaft Kirdorfer Feld (IKF) schlägt tief drinnen im Engelsberg unter dem Schwesternhaus. Dort, wo leise das Gärröhrchen blubbert, wird der Stoff transformiert, der den Apfelweinkenner vor allem in diesen frühherbstlichen Tagen umtreibt. Dann wird im runden ehemaligen Eiskeller des Ordens der Schwestern von der Göttlichen Vorsehung aus goldenen, roten, grünen Äpfeln das Beste, was aus einer Frucht werden kann. So sehen das jedenfalls die Männer und Frauen aus dem Bad Homburger Ortsteil Kirdorf, die im Kulturdenkmal das regionale Kulturgut Streuobstwiesen in letzter Instanz pflegen und betreuen.
Einer von ihnen ist Ex-Oberbürgermeister Michael Korwisi (Grüne). Wenn man Glück hat, kommt er gerade auf einem alten Klepper zum Kelterfest angeradelt und hat Zeit für einen kleinen Exkurs in Sachen Apfelweinkultur. Ein Mann der ersten Stunde in der IKF, der eigene Bäume im Feld pflegt und natürlich auch im Vorstand mitarbeitet. Und alle Geschichten kennt, von der Anschaffung der historischen Kelter mit städtischem Zuschuss, vom umgebauten Hänger mit Apfelklappe für ein rückenschonendes Verfahren bei der Verarbeitung der Äpfel. Ein Gang ins Heiligtum unter dem Schwesternhaus ist freilich ein besonderer Höhepunkt, da darf nicht jeder rein.
Bevor das flüssige Gold im Untergrund von Kellermeister Franz Schöttner bei idealen Voraussetzungen, was Temperatur und Feuchtigkeit betrifft, veredelt werden kann, ist der Grundstoff dafür liebevoll gepflegt worden. Wie im Weinberg ist das ein Ganzjahresjob für die Freunde des Apfelweins. Bodenbearbeitung, Verbuschung verhindern, Wiesen- und Baumpflege mit Ausschnitt alter Bäume und immer wieder Neupflanzungen. Rund 65 Hektar Streuobstwiesen bietet das Kirdorfer Feld, die Apfelwelt ist heute in großen Teilen Natur- und Landschaftsschutzgebiet. Auch alte Sorten werden dort gehegt und gepflegt, die im 13. Jahr ihres Bestehens rund 300 IKF-Leute sind Bewahrer einer alten Tradition auf den Wiesen vor der Kurstadt. Zurzeit wird das komplette Gebiet kartiert, Geo-Daten werden erfasst, jeder einzelne Baum nach seiner Sorte definiert.
Flüssiges Gold
Am „Kirdorfer Kreuz“ und dem Brunnen mit der Sandsteinfassung duftet es wunderbar beim wichtigsten Fest des Jahres. In wahren Strömen fließt das flüssige Gold beim Kelterfest am Wochenende „uff de Bach“, wie die Kirdorfer zum Feierplatz am Bach sagen, der einfach nur Kirdorfer Bach heißt. In alten Zeiten lieferte er das Eis für den Eiskeller, in dem damals noch Bier in Holzfässern gelagert wurde. Bevor 2008 die neuen Apfelweinkönige einzogen.
Beim Fest gibt es eine Standleitung, damit der frisch gepresste „Süße“ direkt vom Auffangbecken der historischen Kelter zu den Fässern im Keller gepumpt werden kann. Am Samstag, bei strahlendem Sonnenschein, ist „Damentag“ an der Kelter. „Die wollten das auch mal machen, die machen das gut“, sagt Korwisi.
Im Schneckenelevator werden die gewaschenen Äpfel in die Höhe befördert, im Häcksler zu grobem Brei umformatiert und dann mit ungefähr 250 Kilogramm Pressdruck pro Quadratzentimeter ausgequetscht. Was dann noch übrigbleibt und wie gepresster Trockenkuchen aussieht, der so genannte Trester, wird an Schweine verfüttert.
Das flüssige Gold schießt durch den Schlauch in den Eiskeller. Dort hat Schöttner die Oberaufsicht und den wichtigsten Job. Bis zu 12 000 Liter Apfelwein werden hier in guten Jahren produziert und gelagert. Mit seinem ersten selbstgekelterten Apfelwein wurde Schöttner 2006 bei einer Blindverkostung zum Kirdorfer Apfelweinkönig gekürt. Wer sonst sollte zum Kellermeister ernannt werden.
Frankfurter Rundschau vom 1.10.2018, Jürgen Streicher