Zigtausende flanieren bei Kaiserwetter auf der Louisenstraße - Taunuszeitung vom 14.10.2019, Matthias Pieren
Was 1688 mit der Drei-Felder-Wirtschaft zur Selbstversorgung auf dem Hof seiner Vorfahren in Modau im Odenwald begann, entwickelte sich über "Uffkaafer" (hochdeutsch: Aufkäufer", wie Gerd Matthes erzählt, zu den Anfängen der Direktvermarktung.
Heute ist das Sortiment, das er mit seinem Odenwälder Bauernhof-Express auf dem Erntedankmarkt in Bad Homburg anbot, freilich weitaus größer. ln tiefster südhessischer Mundart angepriesen, schmecken seine "Orrewäller Kartoffelsupp" und "a oständische Portion Handkäs mit Mussig" sowie seine "Kesselflaischworschd" gleich doppelt so gut. "Lauder gude Sache gibt's bei uns", sagt er zu seinen Kunden vor dem Kurhaus. "En Gude!"
Gute Mischung
Es sind die Stände auf dem Erntedankmarkt wie der von Gerd Matthes, mit dem die Mitglieder der Aktionsgemeinschaft auch am gestrigen Sonntag die Massen erfolgreich in die Innenstadt und so zum parallel für den Nachmittag angesetzten verkaufsoffenen Sonntag in ihre Geschäfte der Fußgängerzone lockten. Ein geselliger Plausch mit Freunden bei lecker Speis und Trank und allerlei hübsche Dinge an rund 100 Marktständen zogen beim gestrigen "Kaiserwetter", wie Oberbürgermeister Alexander Hetjes (CDU) bei seiner Eröffnungsrede sagte, wohl weit über Zehntausend Menschen in die Kurstadt.
Zwar sah man nicht die mit Einkaufstaschen vollbepackten und vom samstäglichen Shopping-Stress getriebenen Kunden in die Geschäfte stürzen. Aber gerade das legere Sich-Treiben-Lassen genossen die Menschen gestern in vollen Zügen- und auch in vollen Geschäften. Bad Homburgs Einzelhändler, die hinter den Marktständen ihre Türen geöffnet hatten, kamen auf ihre Kosten.
Günter Gehrsitz, für die CDU Ortsbeiratsmitglied aus Kirdorf, hatte seine Urenkelin Zoé zum Sonntagsausflug in die Louisenstraße mitgenommen. Beide wurden prompt am Stand der Interessengemeinschaft Kirdorfer Feld zu frisch gepresstem Süßen eingeladen. "Wir haben in diesem Jahr eine gute Ernte", sagte Reinhard Biedenkapp, der gerade den Trester der ausgepressten Äpfel aus der Presse
schaufelte.
Zehn Zentner zum Keltern
Gleich zehn Zentner Renette, Trierer Weinapfel, Boskoop, Goldparmäne oder andere altdeutsche Apfelsorten hatten die Kelter- und Apfelfreunde am Sonntag zum Pressen mit zum Erntedankmarkt mitgebracht. "Der Süße wird an Kinder und ihre Eltern gratis verteilt", sagte Iris Rose und schenkte Zoé und ihrem Uropa noch ein Glas ein. "Bereits am Freitag und Samstag haben wir 4000 Liter Apfelsaft gepresst, den wir heute frisch in Zwei- oder Fünf-Liter-Kanistern oder pasteurisiert im Fünf-Liter Beutel verkaufen", erklärte Rose.
Die Veranstalter nennen das christliche Erntedankfest eine "Tradition, an die im Rahmen des Marktes erinnert wird." Für die katholischen und evangelischen Christen, von denen sich über 300 zum ökumenischen Gottesdienst vor dem Kurhaus versammelt hatten, ist das Danken für den Ertrag der Ernte hingegen der eigentliche Kern und Ursprung des Festes.
ln Bad Hornburg verstehen es Kirchen und Handel seit Jahren, beim Erntedankmarkt ein charmantes Fest für alle Bürger zu organisieren. "Wir danken heute für die gute Zusammenarbeit ", sagte der katholische Pfarrer Werner Meurer zu Beginn des Gottesdienstes. "Wir danken für das Leben in einer Stadt, in der es sich lohnt, sich zu engagieren."
Mahnende Worte
Doch erinnerte Meurer angesichts des jüngsten rechtsextremen Terrors in Kassel und Halle auch ausdrücklich daran, dass man in Deutschland nicht auf einer Insel der Glückseligen lebe und gedachte der Opfer. "Rechtsextremismus ist keine freie
Meinungsäußerung", so der katholische Geistliche. "Wir alle müssen eintreten und aufstehen für Respekt, Toleranz und Versöhnung." ln diesem Sinne begingen die Menschen unabhängig von der Religion dann auch diesen ganz besonderen Tag in
der Innenstadt.
Taunuszeitung vom 14.10.2019