Stöffche hat es zum Kulturerbe geschafft - und der Taunus hat mitgeholfen
Samstag, 26. März 2022, Taunus Zeitung
Unser "Stöffche" ist Kulturerbe! Oder, um genau zu sein: die Handwerkliche Apfelweinkultur, die die Deutsche Unesco-Kommission jetzt ins bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen hat. Eingesetzt dafür haben sich auch Äppler-Engagierte im Taunus: Die Federführung im aufwendigen Verfahren lag nämlich nicht nur beim Verein Apfelwein-Centrum Hessen (ACH), sondern auch bei Diplom-Biologin Barbara Völksen von der Friedrichsdorfer Agendagruppe für Landschaftsschutz und Landschaftspflege. Und in den Reihen der elf Vereine, Verbände und Initiativen, die den Antrag als gleichberechtigte Trägergemeinschaft stellten, findet sich auch die Interessengemeinschaft Kirdorfer Feld (IKF) aus Bad Homburg.
"Das Expertenkomitee würdigt die regionale und partizipative Traditionspflege in der Apfelweinkultur mit ihrer lokalen, identitätsstiftenden Wirkung. Die Herstellung von Apfelwein erfordert spezifisches Wissen und Können, insbesondere im Handwerk und rund um die Natur", heißt es im offiziellen Schreiben ans Apfelwein-Centrum. Das Komitee habe auch die Erläuterungen zur notwendigen Abgrenzung von industriellen und rein auf kommerziellen Vertrieb gerichteten Herstellungsweisen sowie die im Antrag genannten systematischen Erhaltungsmaßnahmen gelobt, freut sich ACH-Vorsitzender Jörg Stier. "Das ist unterm Strich ein Hohelied auf die vielen engagierten Akteure rund um den Apfelwein, die in ganz unterschiedlichen Funktionen zum Erhalt und zur Pflege der Apfelweinkultur beitragen."
Barbara Völksen ist mit dem "Blauen Bock" groß geworden. Die Handwerkliche Apfelweinkultur bedeute in Rhein-Main Identität, sagt die Friedrichsdorferin. Die richte sich nicht nach Ländergrenzen, reiche östlich bis nach Bayern hinein. "Das sind Regionen, die über ihre Kultur miteinander verbunden sind. Beim Anbau von Früchten geht es ja ums Klima und die Böden."
Ob im Hochtaunus oder an der hessisch-bayerischen Grenze: In Familien, Vereinen und Keltergemeinschaften werde das Know-how rund um den Apfel und die Weinproduktion von Generation zu Generation weitergegeben. Eine Tradition, die lebendig sei und sich verändere, betont Völksen. "Immaterielles Kulturerbe ist nichts, was starr im Museum steht. Menschen und Generationen miteinander zu verbinden, das ist das Anliegen."
Doch die Streuobstwiesen seien stark rückläufig, warnt die Biologin. Der Bestand sei bedroht - und damit auch der handgemachte Äppler. "Ein Merkmal dieser handwerklichen, häuslichen Kultur ist ja, dass die Erzeuger die Äpfel von den heimischen Wiesen holen. Die Grundstücke hat man von den Eltern und Großeltern übernommen." Während die Nebenerwerbslandwirtschaft noch bis in die Sechzigerjahre hinein eine große Rolle gespielt habe, hätten später viele aufgegeben, erklärt die 62-Jährige. Es tue not, die Handwerkliche Apfelweinkultur zu erhalten. In der industriellen Landwirtschaft spiele Standardisierung eine große Rolle; nicht so auf Streuobstwiesen: "Da gibt es regionale Sorten, Zufallsfunde. Die Vielfalt, die sich über Jahrhunderte hinweg entwickelt hat, ist enorm", so Völksen.
Heute seien viele Sorten vom Aussterben bedroht. Allein: "Das ist eine genetische Ressource, die wir schützen sollten. Zehn Sorten finden Sie maximal im Supermarkt - das reicht nicht für die nächsten Generationen. Wir sind im Klimawandel, das genetische Gleis muss breit sein, damit wir darauf reagieren können."
Botschaft lautet: Jeder ist willkommen
Dafür setze sich die Trägergemeinschaft ein, jedes Mitglied auf seine Weise. Während etwa die Friedrichsdorfer Agendagruppe mit Grundschulklassen Äpfel erntet und Saft presst, hat der Verein ACH das Gerippte Museum - Raum für Apfelweinkultur in Hanau eingerichtet. Dort zeigen die Aktiven nicht nur den größten Bembel der Welt, sondern auch die "Emotionalität und tiefe Verwurzelung des Getränks", berichtet Jörg Stier, der auch Kurator ist. Bembel, Deckel und Gerippte - das sei eine weltweit einzigartige Trink-Zeremonie. "Wenn der Bembel auf dem Tisch steht, ist jeder willkommen. Das ist die Botschaft, die diesem Getränk innewohnt."
Die IKF in Kirdorf wiederum pflegt und schützt eine jahrhundertealte Kulturlandschaft, die 160 Hektar umfasst. Über die Auszeichnung der Handwerklichen Apfelweinkultur sei man sehr glücklich, wie Vorsitzender Fred Biedenkapp mitteilt. Der Streuobstwiesenanbau ist schon länger Immaterielles Kulturerbe - in beiden Bereichen seien die über 400 IKF-Mitglieder aktiv. "Jetzt wünschen wir uns, dass unser ehrenamtliches Engagement und das vieler anderer Vereine weiterhin und am besten noch intensiver öffentlich gefördert wird", sagt Biedenkapp. Vereine, Verbände und Streuobstinitiativen, die Schulungen und Fortbildungen anböten, unterstützten die Weitergabe der Apfelweinkultur, zu der auch das Gemeinschaftserlebnis gehöre: Menschen pflegten gemeinsam die Baumbestände, kelterten und feierten Apfelweinfeste wie die IKF ihr Kelterfest.
"Den" guten Apfelwein gibt es laut Jörg Stier übrigens nicht. "Das Handwerk und die Aromen sind mannigfaltig", schwärmt Stier. "Die vielen Selbstkelterer, die kleinen Straußwirtschaften sind das Salz in der Suppe." Bier und Traubenwein kämen von den Fürsten und aus den Klöstern. Apfelwein hingegen sei immer ein Getränk gewesen, das die Menschen zu Hause hergestellt und getrunken hätten. "Apfelwein ist Heimat", sagt Jörg Stier.