Kirdorf (Michael Jacob).
Man kann sich seinem Charme nicht entziehen. Besonders in Kirdorf zählt er in dieser Jahreszeit zu den beliebtesten Getränken. Aber nur für kurze Zeit !
Er ist saftig, fruchtig, rinnt in Strömen durch die Kehlen, hat einen herzhaften, aber immer lieblichen Abgang. Seine Farbe ist betörend und sein Geruch gleicht zweifelsohne dem Apfel aus dem Paradies. Zugegeben: Kein Mensch weiß, wie dieser gerochen haben mag. Außer Adam und Eva eben. Aber wenn er so gut gerochen hat wie das beschriebene Naturprodukt, kann man durchaus verstehen, dass die beiden der Versuchung nicht widerstehen konnten.
Wovon die Rede ist? Natürlich: Der Süße ist momentan im wahrsten Sinne des Wortes in aller Munde. Schon lange war die Apfelernte nicht mehr so gut wie in diesem Jahr, so dass sich die Keltereien kaum retten können vor Apfellieferungen. Aber so wie die Apfel in die Presse gelangen, so fließt er auch schon über die Ladentheke hinweg in die schier ausgetrockneten Kehlen der Genießer.
Beim sechsten Kelterfest am Kirdorfer Brunnen kamen die Mitglieder der IKF (Interessengemeinschaft Kirdorfer Feld) mit dem Zapfen kaum hinterher. So groß war der Andrang. Die bereits abgefüllten Kanister zum Mitnehmen fanden gar nicht so reißenden Absatz, denn mittlerweile hat fast jeder seine Kanister zu Hause, die nur darauf warten, endlich wieder gefüllt zu werden. Doch dazu braucht es eben ein Jahr, bis aus der kleinen Blüte ein saftiger Apfel wird. Aber jetzt ist es endlich soweit.
Der Süße ist da und findet reißenden Absatz. Wenn man sich dann noch die Thekenpreise ansieht, würde man am liebsten gleich einen Hundert-Liter-Kanister ins Auto laden. Nur ob dann noch selbst bei eingefleischten Hessen der Darm mitspielt? Schließlich muss der Süße schnell getrunken werden. Besonders, wenn die Kinder Gefallen an dem süßen Getränk finden. Denn ruck zuck wird aus dem Süßen der Rauscher. Und der sollte wahrlich nicht durch kindliche Gaumen rinnen. Der macht nämlich seinem Namen alle Ehre.
Während am Brunnen die mobile Kelter nur eine Zwischenstation zwischen dem saftigen Apfel und dem frisch gepressten Süßen darstellt, denken die Mitglieder der IKF schon weiter. Im benachbarten Kühlkeller unter dem Schwesternhaus, der angeblich weiland dem landgräflichen Schloss als Kühlung gedient haben soll, haben schon etliche Fässer Platz gefunden, in denen es zusehends gärt. Denn eines ist klar: Aus dem Süßen soll natürlich einmal ein köstlicher Apfelwein werden. Die Vorräte der IKF aus dem vergangenen Jahr sind bis auf 300 Liter aufgebraucht. Es wird also höchste Zeit, dass sich der Süße an die Arbeit macht, um endlich erwachsen zu werden. Denn der Hesse verschmäht zwar in den Herbstwochen keinen Süßen. Aber ein echter Äppelwoi ist ihm allemal lieber. Man kann aber getrost sein. Im Keller liegen so viele Liter, dass man dem nächsten Jahr entspannt entgegensehen darf.
Es gilt der Grundsatz: Man stelle in Kirdorf ein paar Bier(!)garnituren auf, biete etwas zu essen und zu trinken an und schon ist es voll. Natürlich muss auch das Wetter mitspielen und das zeigte sich am letzten September-Wochenende von seiner besten Seite. Es war sommerlich warm und schenkte ungetrübte Feierlaune. Seit sechs Jahren ist die IKF im Besitz der Apfelkelter und der 1. Vorsitzende Harald Kämpfer ist sehr stolz darauf, dass man sich damals zu dem Kauf durchgerungen hat. Amortisierung hin oder her - das Erlebnis steht im Mittelpunkt. Die Kinder staunen, wie sorgfältig die kleingehackten Äpfel auf die Matten gelegt werden, um dann dem Druck der Presse nicht mehr widerstehen zu können. Aber sie tun es gern, schließlich ist ein Apfel in jedem Aggregatzustand ein verführerischer Genuss.
Die "Gerippten" füllten sich immer wieder. In den späteren Stunden dann eher mit dem Äppler aus dem vergangenen Jahr. Die jungen und sehr charmanten Damen am Ausschank hatten alle Hände voll zu tun, um den Bedürfnissen ihrer Gäste zu entsprechen. Denn schließlich stehen auch seit einigen Jahren der Apfelsecco und der Apfelbirnensecco auf der Karte. Spezialitäten, die sich die Mitglieder der IKF haben einfallen lassen und die eingeschlagen sind wie eine Bombe. "Dagegen schmeckt ein normaler Prosecco einfach nur fad", meinte Heinz-Dieter aus Wehrheim. Der Apfel ist aber nicht nur zum Trinken gut, es gab auch Apfelgelee-Variationen als "Pur", "mit Zimt" und als "Calvados" zu kaufen. Um die nötige Grundlage für diese Köstlichkeiten zu bilden, gab es Würstchen vom Wildschwein und diverse Kuchenspezialitäten, die- wie es in Kirdorf so Brauch ist - von den eifrigen Hausfrauen gespendet waren. Da die mitgebrachten Kanister mit Sicherheit schon in wenigen Tagen geleert sein dürften, kann man sich trösten lassen. Beim Erntedankmarkt in der Innenstadt wird die IKF ebenfalls einen Stand aufbauen.
Also rot im Kalender anstreichen: 9. Oktober. Da wird es dann wahrscheinlich den letzten Süßen geben. Danach beginnt das winterliche Halbjahr und mit diesem der Durst nach Apfelwein und Heißem. Wer seine eigenen Äpfel noch keltern lassen will, kann sich unter der "Äppelhotline" 0176-27859895 einen Termin geben lassen. Und nun: "Zum Wohl!"
Bad Homburger Woche vom 29.9.2011